Mittwoch, 13. März 2013

Was Falk sagte

Üblicherweise wird die Sprachkonstruktion aus dem Titel in Foren oder Mailinglisten verwendet um inhaltliche Zustimmung auszudrücken. Ich will aber nach den beiden einleitenden Blogposts (Ein bischen Vorarbeit und Was Falk berücksichtigte) hier versuchen zu erklären was Falk gemeint haben könnte und warum er so rigoros gegen die Einführung von SÄA029 ist und sogar mit SÄA030 große Probleme hat.


Von einfachen Fragen

Wer bis hier aufmerksam war der hat inzwischen etwas gemerkt. Wir haben unsere kleine Erkundungstour bei einer eigentlich ganz einfachen Frage begonnen: Welche Gesetze sind von einem Vorhaben wie einer außerparteitaglichen Abstimmung betroffen? Wir sind beim Grundgesetz gelandet. Wir sind bei den Grundlagen der Demokratie der Bundesrepublik Deutschland gelandet. Und ich glaube Falk war sich als einer von ganz wenigen Anwesenden der gravierenden Schwere dieser Feststellung bewusst.

Parteien haben im Grundgesetz eine besondere Stellung, sie sind das Bindeglied zwischen "hoher" Politik - wie sie in Bundestag und -rat geschieht - und dem normalen Bürger. Und daher sind unsere inneren Strukturen auch nicht gerade unwichtig. Bei einer Entscheidung müssen die demokratischen Grundsätze gewährleistet werden, dazu gehören Allgemeinheit, Unmittelbarkeit, Freiheit, Gleichheit und Geheimheit, aber eben auch die Öffentlichkeit. Diese müssen gewährleistet werden, und selbst mein eigener Satzungsänderungsantrag SÄA030 ist hier mit einigen diesbezüglichen Einschränkungen versehen. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass die Briefwahl bei einem Anteil von 13% an den absolut abgegebenen Stimmen nicht Grund genug für eine Wahlanfechtung sei. Die Einschränkungen bei der Geheimheit und der Öffentlichkeit werden durch den Zugewinn bei der Allgemeinheit ausgeglichen. Doch jetzt kommen wir zu einem sehr groß geschriebenen "Aber": Das ist kein Blankoscheck für Briefwahlen, wie Falk richtig bemerkte.


Von Briefwahlen, Urnenwahlen, kleinen und großen Sünden

Eine Mitgliederversammlung bietet eine einmalige Möglichkeit. Viele Menschen versammeln sich an einem Ort und folglich überwachen viele Augen das Geschehnis. Alleine die Möglichkeit einer Beobachtung verhindert schon viele möglichen Probleme. Öffentlichkeit ist eben ein mächtiges Instrument zur Einhaltung der demokratischen Grundsätze. Alles was ausserhalb einer realen Versammlung geschieht kann das nicht gewährleisten.

Die Briefwahl

Jede Entfernung von der sicheren Form einer Versammlung bringt Probleme und Einschränkungen der demokratischen Grundsätze mit sich. Entscheidet man sich für Briefwahl ist die Öffentlichkeit in einem wesentlichen Punkt dahin: Den eigentlichen Wahlvorgang kann niemand mehr kontrollieren, niemand kann Erpressungen und Drohungen erkennen, niemand Manipulationen und Veränderungen zu diesem Zeitpunkt verhindern. Im Nachhinein bei der Auszählung Öffentlichkeit zu erzeugen löst dieses Problem dann leider auch nicht. Eine Briefwahl ist nicht unbedingt geheim, und auch nicht unbedingt frei, weil sie nicht beobachtet werden kann.

Die Urnenwahl

Auch bei einer Urnenwahl entstehen wesentliche Probleme, viele Urnen bedeuten viele Orte die gleichzeitig beobachtet werden müssten. Und durch eine dezentrale Urnenverteilung müssen die Stimmen entweder verteilt ausgezählt werden oder die Urnen transportiert werden, in jedem Fall ist die Öffentlichkeit auch hier angegriffen. Während die Geheimheit und Freiheit hier besser zu schützen sind und auch die Öffentlichkeit ein wenig besser zu wahren ist, stellt auch dieses System einen schwachen Abklatsch einer sicheren Umgebung wie einer Versammlung dar. Der Gewinn gegenüber einer echten Versammlung ist auch nicht besonders groß. Man muss wieder Räume mieten, die Auszählung muss organisiert werden, im Allgemeinen ist der Aufwand deutlich höher als bei einer Briefwahl und nur geringfügig kleiner als bei einer Versammlung.

Die kleinen und die großen Sünden

Sobald wir uns von den bekannten Verfahren entfernen sieht es noch schlimmer aus: Bringen wir ein elektronisches System in's Spiel verlieren wir selbst die geringe intuitive Öffentlichkeit einer Briefwahl. Nicht einmal der Wähler selbst kann in den Computer den er gerade benutzt hineinsehen und so seine eigene Stimmabgabe prüfen. Gerade Systeme die auf die Benutzung von reinen Webseiten-Abstimmungen setzen sind völlig unhaltbar. Die nachträgliche Veröffentlichung des Abstimmergebnisses ist nicht zuverlässig: Selbst im einfachsten Fall kann ein Wähler nicht einmal nachvollziehen ob seine Stimmabgabe manipuliert, durch einen Softwarefehler verändert, durch einen Bedienfehler falsch eingegeben, oder aus beispielsweise taktischen Gründen nicht seinem aktuellen Willen entspricht. Zudem tritt ein weiteres Problem auf die Bühne. Es gibt geheim, nicht geheim und dann gibt es etwas drittes das häufig mit "nicht geheim" verwechselt wird: Transparent.

Transparenz ist ein sehr gefährliches Ding besonders wenn es auf Bürger losgelassen wird. Jeder hat etwas zu verbergen, sei es die Meinung zu Atomkraft gegenüber einem Arbeitgeber wie EnBW, sei es die Einstellung zur Ehe homosexueller Paare gegenüber dem Kindergartenbetreiber.
Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß.
So urteilte das Bundesverfassungsgericht 1983 im sogenannten Volkszählungsurteil. Auf einem Parteitag muss niemand damit rechnen, dass sein Abstimmverhalten automatisch aufgezeichnet und in einer zentralen, leicht zu durchsuchenden Datenbank abgelegt wird, bei "transparenten" Abstimmungen im Internet ist dem nicht so. Gerade bei diesen Abstimmung ist dieses Ablegen in einer Datenbank und veröffentlichen als solches ein Feature. Es wird oftmals argumentiert, dass dies einer Offenen Abstimmung auf einem Parteitag gleich kommt, aber dem ist eben nicht so. Eine offene Abstimmung ist nicht geheim, eine transparente Onlineabstimmung ist das Gegenteil von geheim. (Vergleiche: Mein Auto ist nicht blau, mein Auto ist gelb.)


Was jetzt?

Wenn wir mit der innerparteilichen Demokratie Experimente betreiben, dann legen wir Hand an etwas das Piraten eigentlich heilig sein sollte und mit entsprechender Vorsicht sollten wir vorgehen. Die Meinungsbildung innerhalb der Parteien war dem Verfassungsgesetzgeber so wichtig, dass er dafür Regeln vorsah wie es sie in keiner anderen Demokratie gibt. Diese Regelsetzung war in erster Linie (wie soviele andere vermeintlich unnötige Sicherheiten in unserem Grundgesetz) eine konsequente Schlussfolgerung aus der Machtergreifung Adolf Hitlers in der Weimarer Republik. Ungeachtet der hochemotionalen historischen Kausalität muss man auch noch die aktuelle gesellschaftliche Situation berücksichtigen: Die parlamentarische Demokratie ist in der Krise, nicht zuletzt auch weil die Bürger das Vertrauen in ihre Politiker und auch in ihre Parteien verloren haben.

Falks Sorge in der Diskussion um Entscheidungen zwischen Parteitagen ist, dass wir das Kind mit dem Bade ausschütten. Ich habe mich irgendwann entschieden im Interesse des Dialoges zu Entscheidungen zwischen Parteitagen über die Bedenken - die ich mit Falk teile - hinwegzusehen und einen Vorschlag entwickelt. Wie man an Falks Beitrag hörte ist ihm diese Idee auch nicht geheuer, und ich verstehe sehr gut warum.

Es gibt keine Urteile des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Thema, überhaupt ist die Rechtsprechung und Literatur im Bereich der Parteien sehr dünn. Es gibt Einiges zum Thema der Finanzierung aber zum Beispiel keine Urteile zu konkreten Fragen der innerparteilichen Demokratie. Einschränkungen, gerade bei Geheimheit oder Öffentlichkeit sind sehr kritisch im Hinblick auf die Funktion des Gesamtsystems insbesondere in (grund)rechtlicher Hinsicht.

Mein Fazit

Bezüglich meiner Bedenken rief ich letztes Jahr das Bundesschiedsgericht an um eine Abschaltung von Liquid Feedback im Bund zu erreichen, die Klage wurde abgewiesen. In der Begründung berief sich das BSG auf die Bundestagsdrucksache III/1509, die Entscheidungsbefugnisse für den Organstatus vorauszusetzen scheint. (Die Bundestagsdrucksache kann vom Bundestag per E-Mail erbeten werden und wurde mir auf ebendiese Anfrage als PDF zugesandt.) Auf meine an Prof. Dr. Steffen Augsberg angelehnte Ausführung, dass §12 PartG Organe ohne explizite Entscheidungsbefugnisse definierte, und diese damit existieren wurde leider nicht eingegangen.
§12 PartG (3) Das Amt der gewählten Mitglieder der in Absatz 1 genannten Organe dauert höchstens zwei Jahre.
Ungeachtet dieser Situation bedeutet das Urteil aber auch: Wenn wir verbindliche Entscheidungen treffen müssen wir die genannten Grundsätze nicht nur berücksichtigen sondern in ausreichender Form erfüllen. Tun wir es nicht, oder schränken wir sie sogar absichtlich ein, vergreifen wir uns am Grundgesetz, und das sollte für eine Bürgerrechtspartei ein Tabu sein.

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