Samstag, 23. März 2013

Die Nutten der Netzgemeinde

TLDR: Piraten sind Teil der Netzgemeinde und nicht eure privaten Arbeitssklaven! Wenn ihr was wollt fragt freundlich oder macht es selber! "Die Netzgemeinde" wird in den Medien synonym für "Die Piraten" verwendet, wenn "ihr" rumflamet, dann steht nachher auf SPON "Piratenshitstorm". Wir sitzen alle im gleichen Boot, also hört auf so begeistert Löcher reinzuballern!
Die Piratenpartei ist der Basar, nicht die Kathedrale!

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Man stelle sich eine Wohngemeinschaft mit zehn Mitgliedern vor. Keiner möchte gerne das Haus verlassen. Nach einer gewissen Zeit gehen zwei der Mitglieder endlich nach draußen und kaufen ein. Nach ihrer Rückkehr kochen sie für die anderen acht Mitbewohner ein Essen. Die Resonanz ist mäßig: "Nichts besonderes." "Hab schon besser gegessen." "Hauptsache, der Ranzen spannt!"
"Einmal ist keinmal." denken sich die Zwei und machen sich wieder auf den Weg. Diesmal wird aufwändiger gekocht, ein Menu ausgeheckt. Diesmal ist die Resonanz schon besser: "Yeah!" "Na also, geht doch!"
Durch das Lob ermuntert setzen die Zwei ihre Arbeit fleißig fort, Menu um Menu wird zubereitet, und Tag um Tag mit Einkaufen verbracht. Irgendwann stellen die Zwei fest: Aus den 8 Mitbewohnern sind mitlerweile 98 geworden, aber zum Einkaufen will irgendwie trotzdem keiner mit. Dafür haben aber alle 98 gute Ratschläge: "Versucht es mal mit Salz, damit kann man angeblich würzen!" "Es gibt Läden, die heißen Supermärkte, da kann man voll gut einkaufen!" Und nicht nur Ratschläge sondern auch Forderungen werden laut: "Ich will Lasagne!" "Spaghetti!" "Macht mal was veganes!"
So langsam wird den Zwei die Arbeit zuviel, und außerdem mehren sich die Stimmen der Kritiker: "Boah, um 12 hat das Essen auf dem Tisch zu stehen ihr faulen Säcke!" "Warum kauft ihr eigentlich immer beim gleichen Laden um die Ecke? Der im übernächsten Ort ist viel besser!" "Lasagne!!!"
Auf den Einwand, dass doch mal jemand anders kochen könnte hagelt es "Kritik": "Ihr seid doch nur faul!" "Ihr seid die Köche!" "Versager!"

Was in einer WG nach schätzungsweise 2 Tagen zu mindestens einem Mord, oder schlimmer noch einer WG-Krisensitzung führen würde ist im Netz an der Tagesordnung. Das ist jedenfalls meine Schlußfolgerung aus der Resonanz um meinen Motzer in Richtung fefe. Zugegeben, die feine Englische war das nicht, aber nach 4 Jahren kochen angepöbelt zu werden, warum das Essen nicht um 12 auf dem Tisch steht ist auch nicht die feine Englische... Den CCC so anzugehen tut mir übrigens Leid, ich habe schlicht dasselbe getan wie es fefe auch so gerne tut: Wenn jeder Pirat für ihn "Die Piraten" ist, nun, dann darf ich ja wohl deutlich sichtbare CCC-Mitglieder zu "Dem CCC" erklären? Bestenfalls zeigt es mal wie lächerlich diese Verallgemeinerung ist. Mehr dazu später.

Neben Grammatiktrollen und anderen Einfallslosen (heißer Tipp: mein geschriebenes Deutsch ist tatsächlich nicht das Beste, aber es ist zumindest lesbar und orientiert sich in seinem Aufbau an meinem gesprochenen Deutsch, das zumindest einigermaßen gut ist) gesellte sich auch ein bestimmter Schlag Coinnaisseur unter die hungrigen Gäste. Da waren allerlei "nützliche" Tipps, und derart viele Menuvorschläge, dass man damit den ganzen Landesverband Baden-Württemberg wochenlang beschäftigen könnte. Mein persönliches Highlight von einem Ratschlag postete dabei Smökje:
1. Glaubwürdige Statements
2. Entwicklung einer angemessenen Arbeitsstruktur
3. Nerven der etablierten Parteien und Fehlverhalten aufzeigen
Man muss dieses Statement einfach mal in seiner Genialität bewundern. Ach DAS haben wir die ganze Zeit falsch gemacht! Endlich sagt das mal jemand so klar! ... NOT!
Als ich diesen Kommentar gelesen habe bekam meine Tischkante einen neuen Gebissabdruck. Die Naivität die aus den übrigen Kommentaren heraus sprach war ja schon ätzend, aber diese Perle setzte alldem noch die Krone auf. Glaubwürdige Statements? Ein schlimmerer Allgemeinplatz fällt mir spontan nicht ein. Zu was denn? S21? NSU-Untersuchungsausschuss? Leistungsschutzrecht? Korruption? Nebeneinkünften? Alles da, interessiert nur kein Schwein.
Entwicklung einer "angemessenen" Arbeitsstruktur? Gerne, komm her und mach! Ich beschäftige mich seit fast 3 Jahren damit und eine Lösung ist mir immer noch nicht in den Schoß gefallen... Was soll das sein? Angemessen? Gemessen an was? Menge der Mitarbeiter? Menge der Aktiven der letzten Woche? Menge der Pressemitteilungen? Qualität der Pressemitteilungen? Anzahl der Aktionen in der letzten Woche? Was ist denn eine "Arbeitsstruktur"? Vorstände? PresseAGs? AGs? Crews? Kreisverbände? Bezirksverbände? Wollen wir die programmatische Entwicklung verbessern? Die Einbindung von externen in Arbeitsabläufe? Die Geschwindigkeit von Pressemitteilungen? Was sollen wir denn "angemessen" erledigen?!
Alles im ständigen Fluss und in Verbesserung begriffen.
Nerven der etablierten Parteien und Fehlverhalten aufzeigen? Wo denn? Wie denn? Auf Aktionsseiten zum Beispiel? Die es etwa zu Peer Steinbrücks Nebeneinkünften gab (oder auch zu Alexander Morlangs :D)? Durch nachbohren bei Fragestunden? Nichtmal fefe interessiert sich für so Kram.
Stattdessen liest man bei ihm von Spaßaktionen wie kleinen Anfragen zur Zombieapokalypse im Berliner Abgeordnetenhaus.

Diese ganzen "hilfreichen Tipps" sind genauso für den Mülleimer wie die Forderungen die gestellt werden. Und warum? Weil die Leute die da texten den wichtigsten Punkt vergessen haben: Sie haben keinen Bock darauf selber zu kochen.

...

Einsinken lassen.

...

Die Netzgemeinde hat 2009 ein paar Mitglieder an das echte Leben verloren. Statt auf Mailinglisten, Foren und weißt-du-nicht-wo beschränkt zu bleiben begaben sich ein paar Pioniere auf in ein unbekanntes Land. Man verließ das traute Heim und fand Menschen auf der Straße die informiert werden mussten. Man erlebte wieviel Spaß Aktionen machen können. Man traf seltsame Wesen mit Berufsbezeichnungen wie "Journalist" oder "Politiker". 2009 war das Jahr in dem ich auf einer Mahnwache Artikel 5 des Grundgesetzes zu Grabe getragen habe und gegen die Absage der Intel Friday Night Games in Karlsruhe auf die Straße ging. Viele die vorher nur passiv Politik wahrnahmen wurden auf einmal aktiv und machten etwas. Es war Aufbruchstimmung! Nach der Bundestagswahl ging es dann wieder etwas langsamer. Allgemeines gegenseitiges beschnüffeln, wer ist das eigentlich hier in diesem Laden? Die ersten Verluste nach dem Hype '09 wurden vermeldet. Die Piraten entdeckten ihre chronische Vorstandsverdrossenheit. Ein paar Landtagswahlen standen ins Haus, und Leute die niemanden kannten wählten Leute die niemand kannte zu Kandidaten auf Listen und in Wahlkreisen. 2011 begann verhalten, mit Enttäuschungen bei den Landtagswahlen im Frühjahr, aber dann kam in Berlin der Durchbruch. Ab da schien alles klar, "die Piraten kommen!" war das neue Motto der Presse. Politik ist hipp und toll! Die Netzgemeinde kommt! Wer das für Realität hielt hatte inzwischen sein böses Erwachen: Auf Hype folgt Absturz.
Die "Netzgemeinde" erkannte den Fehler: Schuld sind diese blöden Piraten! Muss ja so sein, denn das sind ja diese Politiker und die sind wenn überhaupt etwas dann schuld! Aber zu Kreuze kriechen wollte irgendwie keiner. Also keifte man sich gegenseitig an.

Eine wirklich paradoxe Situation entspinnt sich: Teile der Netzgemeinde identifizieren sich unter verschiedenen Labels, irrtümlicherweise nennt sich der passive Teil "Netzgemeinde" der aktive Teil "Piraten". Der einzige echte Unterschied zwischen den Piraten und dem CCC? Die Piraten vertreten nicht nur ein begrenztes Themenfeld, und mit ein bisschen Glück können sie bald im Bundestag direkt mitreden. Experten kann man einladen und anhören oder einladen und ignorieren, Bundestagsabgeordnete sind da. Immer. Kuckt doch mal in die Landtage und seht was passiert! Investiert doch mal das bisschen Zeit um zu schauen was die Piraten tun! Klar kommen wir nicht in die BILD. Wie auch? Der Axel-Springer-Verlag wird den Teufel tun eine Partei die ihm politisch diametral entgegensteht auch noch zu bewerben... Diese Erkenntnis nennt man Medienkompetenz! (Auch eine Förderungs-Forderung der Piraten.)

Würdet ihr bei Mozilla ins Entwicklerforum gehen, einen Thread mit Pöbeleien beginnen und meckern das ein bestimmtes Feature noch immer im Firefox fehlt? Nein? Warum tut ihr es dann bei den Piraten?

Würdet ihr eure Freizeit opfern und euch dann auch noch von Leuten herumkommandieren lassen die faul auf der Seite sitzen und nicht mitarbeiten wollen? Nein? Warum verlangt ihr es dann von den Piraten?

Würdet ihr euch in eine Tätigkeit, die ihr seit Jahren ausführt, von jemandem reinreden lassen der noch nicht einmal den grundlegendsten Hauch einer Ahnung davon hat? Nein? Warum erwartet ihr es dann von den Piraten?

Es ist nicht so, dass Piraten keine Mitarbeit wünschen, im Gegenteil, jede Hilfe ist uns recht! Aber bitte, bitte, bitte, mit Zuckerguss und Sahnehäubchen oben drauf: Hört auf von der Seitenlinie reinzumotzen! Schreibt PMs, entwerft Mitmachsysteme, schreibt Programmanträge, nervt Politiker, geht auf die Strasse und sprecht Menschen an, aber um der Netzgemeinde willen: Hört auf euch selbst anzupöbeln!

Piraten sind ganz normale Netizens die zufälligerweise in einer Organisation mitmachen die es braucht um in Deutschland in Politik direkt einzugreifen! Wenn der CCC zu diesem Zweck ausreichen würde bräuchte es keine Partei, aber den CCC kann man nicht in Parlamente wählen. Piraten sind ihr! Piraten sind nicht eure Nutten und nicht eure Sklaven! Wenn ihr mitmachen wollte: Bitteschön, die Organisationsstruktur ist inzwischen wesentlich einsteigerfreundlicher als sie es zu Zeiten meines Einstiegs war! Gerne geschehen! War mir und allen anderen Beteiligten eine Freude!

Und jetzt seid ihr dran: Die Piratenpartei ist der Basar, nicht die Kathedrale!

Freitag, 22. März 2013

Lieber Felix


Ein fauler Sack der nur Darmwinde in's Netz bläst beschwert sich, dass die Piraten angeblich nur Darmwinde in's Netz blasen. Wenn es nicht so traurig wäre, würde das super als Realsatire hinkommen.

Dass du keine Ahnung von Tuten und Blasen hast blinkt ja schon ab und zu mal durch, aber wie schlimm es ist musst du ja nicht unbedingt so deutlich zeigen.

Erklär doch mal was die Piraten anders machen sollen. Es waren die Pfeiffen vom CCC aus Berlin die den BGE-Futzis den Weg geebnet haben, es waren die Pfeiffen vom CCC aus Berlin die als erstes in's Parlament kamen. Erklär mal wie man eine emergente Entwicklung in Richtung Programmverwässerung aufhalten soll wenn selbsternannte Netzretter wie dieser komische Typ der sich Fefe nennt zu einer Gruppierung die diesen Trend aufhalten will sowas vom Stapel lässt: http://blog.fefe.de/?ts=ae36bffc

Lustig nicht? Du lästerst über die "Neo-Cons" bei den Piraten, doch in Wirklichkeit sind das diejenigen die versuchen noch irgendwie Netzpolitik zu machen, diejenigen die Grund- und Bürgerrechte nicht für überkommene Altlasten halten die es auf dem Weg zur Post-Datenschutz-Liquid-Republik zu überwinden gilt.

Die Scheisse hast du dir selbst in den Teller geschaufelt, wenn die Geschmacksrichtung dir nicht passt, hast du Pech gehabt.


Update: Kaum trollt man ein wenig will auf einmal jeder dein Blog lesen. War ja klar.

Update2: Ich rechne übrigens nicht damit, dass Deppen ihre Meinung ändern. Ich finde es dennoch wichtig sie als Deppen zu bezeichnen.

Sonntag, 17. März 2013

Das Ding mit der Nachvollziehbarkeit

Eine Lüge muss nur oft genug wiederholt werden. Dann wird sie geglaubt.
Ich bin (bzw. war bis vor kurzem) Informatik-Student. Ich interessiere mich seit über 4 Jahren für Kryptografie. Ich habe beginnend mit dem Alter von 15 Jahren mit Computern viele Dinge getan die rückblickend nicht alle klug waren. Als andere Jugendliche sich mit Freunden getroffen haben hing ich am Rechner und habe meinen Vater geärgert der das lokale Netzwerk zu sichern versuchte wie Fort Knox. (Er hat übrigens versagt.) Computersicherheit ist eines meiner Steckenpferde. Penetration Testing ist für mich keine Sexualpraktik. Ich habe ein Faible für (aus den Augen des Normalsterblichen) etwas abgefahrene juristische Themen wie das Grundgesetz.

Man sollte meinen mit dieser Liste falle ich in den Bereich eines "Experten", zumindest im Bezug auf Dinge wie die Überprüfung von Ergebnissen elektronischer Datenverarbeitung. Doch ständig erklären mir irgendwelche Leute (die teilweise in ihrem Leben noch keine Konsole aus der Nähe gesehen haben), dass ich das Ganze eigentlich nicht verstanden habe...

Jedes System ist knackbar. Selbst eine physische Trennung ist manchmal kein ausreichender Schutz gegen Hackerangriffe, wie die Iraner - sehr zum Leidwesen ihrer Zentrifugen - vor gar nicht allzulanger Zeit feststellen mussten. Ein Server mit Internetanschluss, Standard Opensource-Software und durchschnittlich paranoiden Administratoren ist gegen gezielte Angriffe nach meinem Kenntnisstand so gut wie nicht zu schützen. Üblicherweise laufen solche Angriffe so ab, dass irgendwo Schadsoftware auf den Webseiten auftaucht, ein Admin bemerkt, dass was nicht stimmt und dann ein Backup einspielt. Selbst moderne IDS sind nicht jeder Herausforderung gewachsen.
Und jetzt kommen wir zum fiesesten Punkt: Während die Verteidigungsmaßnahmen an einem Server 24 Stunden an 7 Tagen die Woche und 365 Tagen im Jahr jedem Angriff standhalten müssen, reicht ein einziger erfolgreicher Angriff einem Hacker aus um vollen Zugriff auf das angegriffene System zu erhalten.

Backups sind nicht ausschließlich ein Schutz vor Hardwarefehlern. Backups schützen auch vor dem unvermeidbar möglichen Erfolg eines Hackerangriffs.
Backups helfen uns aber nicht wenn ein E-Voting System angegriffen wurde.

Alle E-Voting Schemata die von Experten (Diplominformatiker, Doktoren der Informatik, etc.) entwickelt wurden setzen auf ein der elektronischen Datenverarbeitung übergeordnetes abstraktes Informationsmodell um Manipulationen zu erkennen. Mal sind es sogenannte "pre shared secrets" (dt.: "vorher verteilte Geheimnisse") die meist riesige Zufallszahlen sind, mal sind es komplette Verschlüsselungsverfahren mit öffentlichen und geheimen Schlüsseln und mal beinhalten sie sogenannte "blinde Signaturen" (eine Stelle kann einen Inhalt digital signieren ohne den Inhalt lesen zu können). Alle haben sie eines gemeinsam: Der Experte kann anhand seiner Erfahrung und seines Fachwissens eine Manipulation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen.
Ganz ausschließen kann man Manipulation natürlich niemals, nur extrem unwahrscheinlich machen.

Die Manipulationswahrscheinlichkeit bei einem System das kein übergeordnetes Informationsmodell einsetzt ist im Vergleich dazu astronomisch hoch.

Klarnamen (oder eine beliebig harte Abstraktion davon) sind kein geeignetes übergeordnetes Informationsmodell. Transparenz funktioniert (wie die Entwickler dieses Konzepts inzwischen selbst zugaben) ausschließlich dann, wenn ein Identifikationsmerkmal verwendet wird das allen anderen Teilnehmern gegenüber eindeutig eine Person identifiziert. Ein bloßer Vor- und Nachname reicht da gar nicht aus... Und selbst die bloße Eindeutigkeit genügt nicht, die Person muss auch noch allen anderen Benutzern gegenüber bekannt sein!
Es mag sich jeder ausmalen wie gut dieses Konzept schon in einem Landesverband mit ein paar hundert Mitgliedern funktioniert, geschweige denn in einem Landesverband mit weit über 1000 Mitgliedern oder gar dem Bundesverband...

Ich hatte über die theoretischen Angriffsmöglichkeiten und die Mängel schon hier gebloggt: Warum Transparenz und Klarnamen als Sicherheitsmechanismus ungeeignet sind.

Selbst ich, als einigermaßen im Bereich der Computersicherheit erfahrene Person, bin nicht in der Lage diese Probleme zu lösen und eine eindeutige Antwort auf die Frage "Wurde meine Stimme manipuliert oder nicht?" zu finden...
Selbst wenn man mir unmittelbar nach der Beschwerde Vollzugriff auf den Server geben würde könnte ich diese Frage nicht beantworten außer mit der Formulierung: "Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Manipulation stattgefunden hat liegt unter Berücksichtigung aller vorhandenen Daten und in Abhängigkeit von der Qualität des Gedächtnisses des Benutzers bei 33% oder höher."

Ich persönlich halte 33% nicht gerade für "verschwindend gering"...

Mittwoch, 13. März 2013

Was Falk sagte

Üblicherweise wird die Sprachkonstruktion aus dem Titel in Foren oder Mailinglisten verwendet um inhaltliche Zustimmung auszudrücken. Ich will aber nach den beiden einleitenden Blogposts (Ein bischen Vorarbeit und Was Falk berücksichtigte) hier versuchen zu erklären was Falk gemeint haben könnte und warum er so rigoros gegen die Einführung von SÄA029 ist und sogar mit SÄA030 große Probleme hat.


Von einfachen Fragen

Wer bis hier aufmerksam war der hat inzwischen etwas gemerkt. Wir haben unsere kleine Erkundungstour bei einer eigentlich ganz einfachen Frage begonnen: Welche Gesetze sind von einem Vorhaben wie einer außerparteitaglichen Abstimmung betroffen? Wir sind beim Grundgesetz gelandet. Wir sind bei den Grundlagen der Demokratie der Bundesrepublik Deutschland gelandet. Und ich glaube Falk war sich als einer von ganz wenigen Anwesenden der gravierenden Schwere dieser Feststellung bewusst.

Parteien haben im Grundgesetz eine besondere Stellung, sie sind das Bindeglied zwischen "hoher" Politik - wie sie in Bundestag und -rat geschieht - und dem normalen Bürger. Und daher sind unsere inneren Strukturen auch nicht gerade unwichtig. Bei einer Entscheidung müssen die demokratischen Grundsätze gewährleistet werden, dazu gehören Allgemeinheit, Unmittelbarkeit, Freiheit, Gleichheit und Geheimheit, aber eben auch die Öffentlichkeit. Diese müssen gewährleistet werden, und selbst mein eigener Satzungsänderungsantrag SÄA030 ist hier mit einigen diesbezüglichen Einschränkungen versehen. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass die Briefwahl bei einem Anteil von 13% an den absolut abgegebenen Stimmen nicht Grund genug für eine Wahlanfechtung sei. Die Einschränkungen bei der Geheimheit und der Öffentlichkeit werden durch den Zugewinn bei der Allgemeinheit ausgeglichen. Doch jetzt kommen wir zu einem sehr groß geschriebenen "Aber": Das ist kein Blankoscheck für Briefwahlen, wie Falk richtig bemerkte.


Von Briefwahlen, Urnenwahlen, kleinen und großen Sünden

Eine Mitgliederversammlung bietet eine einmalige Möglichkeit. Viele Menschen versammeln sich an einem Ort und folglich überwachen viele Augen das Geschehnis. Alleine die Möglichkeit einer Beobachtung verhindert schon viele möglichen Probleme. Öffentlichkeit ist eben ein mächtiges Instrument zur Einhaltung der demokratischen Grundsätze. Alles was ausserhalb einer realen Versammlung geschieht kann das nicht gewährleisten.

Die Briefwahl

Jede Entfernung von der sicheren Form einer Versammlung bringt Probleme und Einschränkungen der demokratischen Grundsätze mit sich. Entscheidet man sich für Briefwahl ist die Öffentlichkeit in einem wesentlichen Punkt dahin: Den eigentlichen Wahlvorgang kann niemand mehr kontrollieren, niemand kann Erpressungen und Drohungen erkennen, niemand Manipulationen und Veränderungen zu diesem Zeitpunkt verhindern. Im Nachhinein bei der Auszählung Öffentlichkeit zu erzeugen löst dieses Problem dann leider auch nicht. Eine Briefwahl ist nicht unbedingt geheim, und auch nicht unbedingt frei, weil sie nicht beobachtet werden kann.

Die Urnenwahl

Auch bei einer Urnenwahl entstehen wesentliche Probleme, viele Urnen bedeuten viele Orte die gleichzeitig beobachtet werden müssten. Und durch eine dezentrale Urnenverteilung müssen die Stimmen entweder verteilt ausgezählt werden oder die Urnen transportiert werden, in jedem Fall ist die Öffentlichkeit auch hier angegriffen. Während die Geheimheit und Freiheit hier besser zu schützen sind und auch die Öffentlichkeit ein wenig besser zu wahren ist, stellt auch dieses System einen schwachen Abklatsch einer sicheren Umgebung wie einer Versammlung dar. Der Gewinn gegenüber einer echten Versammlung ist auch nicht besonders groß. Man muss wieder Räume mieten, die Auszählung muss organisiert werden, im Allgemeinen ist der Aufwand deutlich höher als bei einer Briefwahl und nur geringfügig kleiner als bei einer Versammlung.

Die kleinen und die großen Sünden

Sobald wir uns von den bekannten Verfahren entfernen sieht es noch schlimmer aus: Bringen wir ein elektronisches System in's Spiel verlieren wir selbst die geringe intuitive Öffentlichkeit einer Briefwahl. Nicht einmal der Wähler selbst kann in den Computer den er gerade benutzt hineinsehen und so seine eigene Stimmabgabe prüfen. Gerade Systeme die auf die Benutzung von reinen Webseiten-Abstimmungen setzen sind völlig unhaltbar. Die nachträgliche Veröffentlichung des Abstimmergebnisses ist nicht zuverlässig: Selbst im einfachsten Fall kann ein Wähler nicht einmal nachvollziehen ob seine Stimmabgabe manipuliert, durch einen Softwarefehler verändert, durch einen Bedienfehler falsch eingegeben, oder aus beispielsweise taktischen Gründen nicht seinem aktuellen Willen entspricht. Zudem tritt ein weiteres Problem auf die Bühne. Es gibt geheim, nicht geheim und dann gibt es etwas drittes das häufig mit "nicht geheim" verwechselt wird: Transparent.

Transparenz ist ein sehr gefährliches Ding besonders wenn es auf Bürger losgelassen wird. Jeder hat etwas zu verbergen, sei es die Meinung zu Atomkraft gegenüber einem Arbeitgeber wie EnBW, sei es die Einstellung zur Ehe homosexueller Paare gegenüber dem Kindergartenbetreiber.
Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß.
So urteilte das Bundesverfassungsgericht 1983 im sogenannten Volkszählungsurteil. Auf einem Parteitag muss niemand damit rechnen, dass sein Abstimmverhalten automatisch aufgezeichnet und in einer zentralen, leicht zu durchsuchenden Datenbank abgelegt wird, bei "transparenten" Abstimmungen im Internet ist dem nicht so. Gerade bei diesen Abstimmung ist dieses Ablegen in einer Datenbank und veröffentlichen als solches ein Feature. Es wird oftmals argumentiert, dass dies einer Offenen Abstimmung auf einem Parteitag gleich kommt, aber dem ist eben nicht so. Eine offene Abstimmung ist nicht geheim, eine transparente Onlineabstimmung ist das Gegenteil von geheim. (Vergleiche: Mein Auto ist nicht blau, mein Auto ist gelb.)


Was jetzt?

Wenn wir mit der innerparteilichen Demokratie Experimente betreiben, dann legen wir Hand an etwas das Piraten eigentlich heilig sein sollte und mit entsprechender Vorsicht sollten wir vorgehen. Die Meinungsbildung innerhalb der Parteien war dem Verfassungsgesetzgeber so wichtig, dass er dafür Regeln vorsah wie es sie in keiner anderen Demokratie gibt. Diese Regelsetzung war in erster Linie (wie soviele andere vermeintlich unnötige Sicherheiten in unserem Grundgesetz) eine konsequente Schlussfolgerung aus der Machtergreifung Adolf Hitlers in der Weimarer Republik. Ungeachtet der hochemotionalen historischen Kausalität muss man auch noch die aktuelle gesellschaftliche Situation berücksichtigen: Die parlamentarische Demokratie ist in der Krise, nicht zuletzt auch weil die Bürger das Vertrauen in ihre Politiker und auch in ihre Parteien verloren haben.

Falks Sorge in der Diskussion um Entscheidungen zwischen Parteitagen ist, dass wir das Kind mit dem Bade ausschütten. Ich habe mich irgendwann entschieden im Interesse des Dialoges zu Entscheidungen zwischen Parteitagen über die Bedenken - die ich mit Falk teile - hinwegzusehen und einen Vorschlag entwickelt. Wie man an Falks Beitrag hörte ist ihm diese Idee auch nicht geheuer, und ich verstehe sehr gut warum.

Es gibt keine Urteile des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Thema, überhaupt ist die Rechtsprechung und Literatur im Bereich der Parteien sehr dünn. Es gibt Einiges zum Thema der Finanzierung aber zum Beispiel keine Urteile zu konkreten Fragen der innerparteilichen Demokratie. Einschränkungen, gerade bei Geheimheit oder Öffentlichkeit sind sehr kritisch im Hinblick auf die Funktion des Gesamtsystems insbesondere in (grund)rechtlicher Hinsicht.

Mein Fazit

Bezüglich meiner Bedenken rief ich letztes Jahr das Bundesschiedsgericht an um eine Abschaltung von Liquid Feedback im Bund zu erreichen, die Klage wurde abgewiesen. In der Begründung berief sich das BSG auf die Bundestagsdrucksache III/1509, die Entscheidungsbefugnisse für den Organstatus vorauszusetzen scheint. (Die Bundestagsdrucksache kann vom Bundestag per E-Mail erbeten werden und wurde mir auf ebendiese Anfrage als PDF zugesandt.) Auf meine an Prof. Dr. Steffen Augsberg angelehnte Ausführung, dass §12 PartG Organe ohne explizite Entscheidungsbefugnisse definierte, und diese damit existieren wurde leider nicht eingegangen.
§12 PartG (3) Das Amt der gewählten Mitglieder der in Absatz 1 genannten Organe dauert höchstens zwei Jahre.
Ungeachtet dieser Situation bedeutet das Urteil aber auch: Wenn wir verbindliche Entscheidungen treffen müssen wir die genannten Grundsätze nicht nur berücksichtigen sondern in ausreichender Form erfüllen. Tun wir es nicht, oder schränken wir sie sogar absichtlich ein, vergreifen wir uns am Grundgesetz, und das sollte für eine Bürgerrechtspartei ein Tabu sein.

Dienstag, 12. März 2013

Was Falk berücksichtigte

Willkommen zum zweiten Teil des Dreiteilers zu Falks Äußerungen bei der Debatte um die Abstimmung zwischen den Parteitagen. In diesem Teil möchte ich die Verknüpfungen vom Parteiengesetz in das Grundgesetz genauer darlegen.

Was Falk berücksichtigte

Schlägt man in den Kommentaren[Rixen][Ipsen] zum Parteiengesetz und in einschlägigen Rechtsstudien[wissenschaftlicher Dienst des Bundestages] nach dann findet man eine für den Laien überraschende aber grundsätzlich rechtlich logische Kette. Eine Kette die in's Grundgesetz führt. Das Parteiengesetz gibt es nämlich nicht seit Anbeginn der Bundesrepublik. Die Grundlage und die Notwendigkeit für dieses Gesetz existiert zwar schon seit dem 23. Mai 1949 aber es brauchte saftige 18 Jahre bis am 28. Juli 1967 das Gesetz über die politischen Parteien in Kraft treten konnte. Die Grundlage ist Artikel 21 des Grundgesetzes:
(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.
(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.
(3) Das Nähere regeln Bundesgesetze.
Und hier finden wir etwas das es nur ein einziges mal auf der Erde gibt. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wird den Parteien die in unserer parlamentarischen Demokratie agieren wollen eine innere Ordnung aufgezwungen. Diese innere Ordnung "muß demokratischen Grundsätzen entsprechen". 5€ in's Phrasenschwein bitte.

Sucht man das Grundgesetz nach "demokratischen Grundsätzen" ab dann erlebt man eine herbe Enttäuschung: Diese gibt es nicht. Ich erinnere an den Einleitungssatz aus dem vorherigen Abschnitt:
Recht ist immer die Suche nach einer Lösung im Gesamtbild.
Unser Problem ist die Definition von "demokratischen Grundsätzen", aber wir sind da nicht alleine. Es gibt zwar Definitionsprobleme und Sachfragen die seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes nicht abschließend geklärt werden konnten, aber dieses Definitionsproblem gehört nicht dazu.
Artikel 20 (1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
Wir können also aus den Organisationsformen und Einzelfalllösungen die der Grundgesetzgeber für die Bundesrepublik getroffen hat die Grundsätze unserer Demokratie ablesen. Nach ein bischen lesen stößt man dann auf:
Art 38 GG (1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.
Es ist eine markante Stelle im Grundgesetz, und eine Formulierung die nur an einer weiteren Stelle auftaucht:
Art 28 GG (1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.
Die prominentesten Grundsätze der Demokratie sind damit sauber definiert, Demokratie muss allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim sein. Es gibt zu diesem Thema noch einige interessante Urteile des Bundesverfassungsgerichts, eines muss hier erwähnt werden: Das Wahlcomputerurteil. In diesem Urteil wird ein weiterer sogenannter "übergeordneter Wahlrechtsgrundsatz" definiert: Öffentlichkeit. Dieser ist besonders wichtig, denn ohne ihn ist nicht prüfbar ob die anderen überhaupt eingehalten werden.

Dass diese Vorgehensweise tatsächlich Grundlage bei der Schaffung des Parteiengesetzes war lässt sich an einem einfachen Beispiel schön visualisieren:
Artikel 38 (1) GG Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.
§15 (3) PartG Das Antragsrecht ist so zu gestalten, daß eine demokratische Willensbildung gewährleistet bleibt, insbesondere auch Minderheiten ihre Vorschläge ausreichend zur Erörterung bringen können. In den Versammlungen höherer Gebietsverbände ist mindestens den Vertretern der Gebietsverbände der beiden nächstniedrigen Stufen ein Antragsrecht einzuräumen. Bei Wahlen und Abstimmungen ist eine Bindung an Beschlüsse anderer Organe unzulässig.
Die Verwandschaft der markierten Sätze ist auch für den Laien schnell erkennbar, es handelt sich bei ersterem um das Verbot des sogenannten imperativen Mandats, das seine Entsprechung auch im Parteiengesetz gefunden hat. Und jetzt haben wir die Grundlagen um uns mit dem was Falk sagte auseinanderzusetzen, dazu gibt's dann morgen mehr.

Montag, 11. März 2013

Ein bisschen Vorarbeit

Falk Peter-Hirschel war beim ersten Landesparteitag Baden-Württemberg 2013 Jurist vom Dienst für die Versammlungsleitung. Bei der Debatte um die Abstimmung zwischen den Parteitagen trat er aber auch an's Mikrofon und leistete einen extrem wichtigen Beitrag für diese Diskussion. Mir wurde schlagartig bewusst: Ich bin nicht alleine mit meiner Meinung, und sie ist allem Anschein nach fundiert.

Ich fand diesen Beitrag großartig. Ich glaube nur, dass nicht alle verstanden haben was er wirklich bedeutete. Ich werde deshalb eine Reihe von drei Blogposts veröffentlichen damit auch alle Piraten diesen Beitrag wirklich in seiner ganzen Bedeutung nachvollziehen können!

Zunächst brauchen wir:

Ein bisschen Vorarbeit

Recht ist immer die Suche nach einer Lösung im Gesamtbild.

Um wirklich verstehen zu können welche Gesetze von einem Vorhaben wie einer außerparteitaglichen Abstimmung betroffen sind braucht man viel Geduld oder eine juristische Ausbildung. Ich habe mich 2010 nachdem wir Piraten in Bingen uns für einen Testlauf mit Liquid Feedback entschieden haben auf eine Reise begeben in ein Gebiet das ich nicht kannte. Im Nachhinein kann ich mit einiger Sicherheit sagen, dass es auch bis zum heutigen Tag ein (selbst unter Juristen) nicht gerade weit verbreitetes Fachwissen ist das ich mir da als Hobby angeeignet habe.

Erstmal umreißen wir grob worum es geht: Wir wollen Entscheidungen zwischen Parteitagen treffen, unser erster Anlaufpunkt (da es um eine neue Satzungsregelung geht) ist demnach das Parteiengesetz. Dort finden wir sehr schnell die wichtigsten Regelungen:
§8 (2) Die Satzung kann weitere der Willensbildung des jeweiligen Gebietsverbandes dienende Einrichtungen (Organe) vorsehen. Sie sind in der Satzung ausdrücklich als solche zu bezeichnen.

§9 (3) Der Parteitag wählt den Vorsitzenden des Gebietsverbandes, seine Stellvertreter und die übrigen Mitglieder des Vorstandes, die Mitglieder etwaiger anderer Organe und die Vertreter in den Organen höherer Gebietsverbände, soweit in diesem Gesetz nichts anderes zugelassen ist.

§15 (3)  Das Antragsrecht ist so zu gestalten, daß eine demokratische Willensbildung gewährleistet bleibt, insbesondere auch Minderheiten ihre Vorschläge ausreichend zur Erörterung bringen können. In den Versammlungen höherer Gebietsverbände ist mindestens den Vertretern der Gebietsverbände der beiden nächstniedrigen Stufen ein Antragsrecht einzuräumen. Bei Wahlen und Abstimmungen ist eine Bindung an Beschlüsse anderer Organe unzulässig.

Und das müssen wir jetzt irgendwie in einen logischen Zusammenhang bringen und daraus konkrete Dinge ableiten. Aber der Reihe nach:
§8 (2) enthält (wie es in Fachkreisen so gerne genannt wird) die Legaldefinition sogenannter Organe. Organe sind "der Willensbildung des jeweiligen Gebietsverbandes dienende Einrichtungen" und für unseren Zweck scheinen sie ideal zu sein. Wir wollen ja Entscheidungen treffen, das dient der Willensbildung und geht damit nur in einem Organ. Ein besonderes Organ wird übrigens in §8 (1) definiert, die Mitgliederversammlung:
§8 (1) Mitgliederversammlung und Vorstand sind notwendige Organe der Partei und der Gebietsverbände. [...]
Unser Plan scheint also einfach: Wir machen das mit dem Organ und dann ist alles gut! Leider nicht. Da gibt es nämlich noch den §9 (3), welcher den sogenannten Parteitagsvorbehalt enthält. Das hat zur Folge, dass bestimmte Dinge von einer Mitgliederversammlung beschlossen werden müssen. Diese Dinge sind "die Parteiprogramme, die Satzung, die Beitragsordnung, die Schiedsgerichtsordnung, die Auflösung sowie die Verschmelzung mit anderen Parteien."
Houston, we have a problem.
Wenn wir also über das Programm der Partei entscheiden wollen kommen wir um die Mitgliederversammlung nicht herum. Besonders beachtet werden sollte hier auch das Urteil des Bundesschiedsgerichts zu Positionspapieren. Diese dürfen auf keinen Fall als gleichwertig zum offiziellen Programm der Partei kommuniziert werden, und sind schon aus diesem Grund keine echte Alternative um den Gesetzestext zu umgehen, selbst wenn man diese Umgehung für sinnvoll hält (was ich nicht tue). Glücklicherweise hatte jemand eine Idee®: Statt ein separates Organ für Entscheidungen zwischen Parteitagen zu erschaffen hängen wir die Entscheidungsmöglichkeit einfach an die normale Mitgliederversammlung dran. Dafür müssen wir im Wesentlichen eine spezielle Tagungsform für diese erschaffen.

Wir wissen jetzt also wie wir Programm zwischen Präsenzparteitagen (also Offlineparteitagen) entscheiden können, aber wie müssen wir diese Tagungsform jetzt genau ausgestalten? Hilfe bietet uns dabei §15 (3), dieser befasst sich allgemein mit dem Antragsrecht in Organen und definiert die absoluten Grundlagen die gewährleistet sein müssen. In diesem Paragraphen fordert der Gesetzgeber, dass jedes Organ "eine demokratische Willensbildung gewährleistet".

Und jetzt wird es kompliziert, dazu gibt's dann morgen mehr!

Donnerstag, 7. März 2013

Kurz notiert

Der Piratengrippe-Erregerstamm 2.0.1.3.0 wird derzeit in den Laboren in Karlsruhe und Ulm für den Einsatz auf dem Landesparteitag Baden-Württemberg 2013.1 in Flein vorbereitet. Er bietet ein 70% höheres Infektionsrisiko, hat eine längere Inkubationszeit, ist bereits einen Tag vor Auftritt der ersten Sympome ansteckend und absolut zuverlässig beim Ausschalten von oberen und unteren Atemwegen.
Gerüchten zufolge wurden mindestens zwei der an der Entwicklung beteiligten Forscher trotz Sicherheitskleidung angesteckt.

Diskussionen zur SMV und Liquid Democracy (3)

Als Antwort auf http://mannheimer-salon.de/?p=204
Deine Vision ist durchaus ein interessanter Punkt dieser Diskussion, insbesondere deine Annahme aus dem Eingangsparagraphen, dass mir nicht bewusst ist um was es bei der Liquid Democracy Debatte geht.
Das Gegenteil ist der Fall, daher auch die Vision in meinem letzten Blogpost

Ich will daher mal auf die einzelnen Punkte deiner Vision eingehen und ihnen meinen Entwurf gegenüberstellen.

Beteiligung: Impulsgeben oder nur dabei sein

Neue Dinge auszuprobieren ist gut, es ist toll und wichtig. Ich stimme dir diesbezüglich absolut zu! Ebenso wichtig ist es aber bewährtes zu verbessern. Manchmal gelingt der große Wurf, aber neben den "großen Entdeckungen" der Menschheitsgeschichte haben wir uns vor allem durch kontinuierliche Verbesserung weiterentwickelt. Klar war die Flugmaschine von Otto Lilienthal etwas revolutionäres, noch nie dagewesenes, aber die kontinuierliche Entwicklung brachte uns von dort bis zum Airbus A380 und zu brennenden Lithium Ionen Akkus ;)
Bewährtes zu verbessern ist die bewährteste Strategie die die Menschheit hervorgebracht hat.

Der Graben zwischen Technokratie und Bürgerbeteiligung

Der von dir angeschnittene Konflikt geht noch viel tiefer. Selbst Bundestagsabgeordnete, die ihrer Tätigkeit bezahlt und Vollzeit nachgehen, haben nicht die Möglichkeit sich ausreichend in alle Themen einzuarbeiten. Das Ergebnis sind Strukturen die ihnen halt geben, Fraktionszwang und Lobbyismus sind das Resultat einer Überforderung. Ein Gegenentwurf zu einer dies bekämpfenden Liquid Democracy kann hier zum Beispiel gut ansetzen: Die Energie des "Schwarms" wird gebündelt indem man einen selbstmoderierten Informationskanal baut in dem jeder seine Eingaben machen kann. Auf diese Art und Weise verbindet man bewährte Prinzipien: Die gewählten Volksvertreter können zu allen Sachfragen eine kompetente Beratung erhalten und Gegenpositionen hören, und die Bürger erhalten ein belastbares Sprachrohr nach oben.

Das soziale Netzwerk: Abseits von üblichen Grenzen

An dieser Stelle möchte ich auch mal dem vielbelasteten Begriff "Schwarmintelligenz" entgegentreten: Der Schwarm ist nicht intelligent. Wenn es heißt, dass der Durchschnitt aller Schätzungen einer Menschenmenge nahe am echten Ergebnis war, dann bedeutet das, dass die meisten Einzelmeinungen gnadenlos daneben lagen. Um den Schwarm intelligent zu machen bedarf es intelligenter Konzepte, Selbstorganisation ist in diesem Kontext schlicht nicht möglich. Gerade die Forschung an sozialen Netzwerken (nicht Facebook sondern das Sozialgeflecht um einen Menschen) zeigt, dass sich unser Kommunikationsverhalten geändert hat. Nachrichten und Informationen entwickeln ein Eigenleben und aufgrund der Natur des Menschen werden gerade agressive und destruktive Informationen präferiert weitergegeben. Peter Kruse ist mir durchaus bekannt, und hat meine Meinung (wie man ja lesen kann) mehr als nur ein bischen beeinflusst.

tl;dr: Was das für die Piraten bedeutet

Du sprichst von einem robusten System und dass wir soetwas brauchen, und da gebe ich dir vollkommen Recht. Ich frage mich nur inwiefern Liquid Democracy das ist? Vor allem die Analysen von Streetdog anhand des realen Testlaufs im BundesLiquid zeigen, dass sich Strukturen entwickeln die alles andere als wünschenswert sind. Gerade durch das Auftreten dieser Strukturen (extreme Machtkonzentration, etc.) ist ja schon erwiesen, dass das Prinzip Liquid Democracy keine eingebaute Robustheit aufweist. Wenn schon kleine Umsetzungsfehler solche Emergenzen bewirken dann ist das zugrundeliegende Prinzip fehlerbehaftet.

Mein Ausblick:

Ich habe meine Reise in dieses Gebiet vor fast 3 Jahren begonnen, und mein erster Schritt waren Definitionen. Ich habe untersucht was das Problem war und eine Strategie entwickelt. Das Ergebnis zu dem ich 2010 kam kann man hier nachlesen und sich auch als Videovortrag vom Nordbadentreffen anschauen: http://wiki.piratenpartei.de/BasDeM
Eine meiner Theorien die ich dabei nicht explizit vorgetragen habe - die aber zugrunde lag - ist, dass ein System nicht von oben aufgestülpt werden kann. Ein wirklich mächtiges System ist ein emergentes. Statt Arbeitsabläufe fest vorzuschreiben bietet man verschiedene Kommunikationskanäle mit verschiedenen Eigenschaften und verknüpft sie. Die Verknüpfung muss sorgfältig gewählt werden, für Findeco haben hier gerade die Leute von DisQussion viel eingebracht. Die Idee des Microblogging und das zugrundeliegende Modell der Alternativenentwicklung entspricht viel besser meiner ursprünglichen Idee als meiner ursprünglichen BasDeM Umsetzung. Nichtsdestotrotz hat bereits die ursprüngliche BasDeM Umsetzung meine Theorie bewiesen, ebenso wie die davon unabhängigen Versuche mit WikiArguments in Bayern.
Der große Schwachpunkt der direkten Demokratie war immer die Meinungsbildung, kriegt man den in den Griff hat man gewonnen, und es entstehen zur Zeit intelligente Systeme die genau das ermöglichen. Damit wird dann auch die Ablösung der repräsentativen Demokratie unnötig: Wenn ich das Wissens- und Informationsdefizit durch intelligente selbstorganisierte Netzwerke bekämpfen kann, dann bekämpfe ich damit auch die Vertrauenskrise in die Politik. Wer weiß, dass er jederzeit zu einer für ihn wichtigen Frage Stellung nehmen kann und gehört wird, der kann wieder vertrauen in Politik entwickeln.

Diskussionen zur SMV und Liquid Democracy (2)

Die Diskussion zwischen Incredibul und mir wurde fortgesetzt hier meine Replik:

Bei der Einschätzung der Motivationen zu einem Parteieintritt stimme ich dir [Incredibul] vollumfänglich zu. Aber hier hast du einen Punkt übersehen, Parteien sollen an der Willensbildung des Volkes mitwirken, es ist also explizit im Aufgabenbereich der Parteien auch Nichtparteimitgliedern nahe und offen zu sein. Wenn eine Partei eine Partizipationsmöglichkeit bietet, ohne dass man gleich Mitglied werden muss ist das großartig und eine bessere Umsetzung des grundgesetzlichen Auftrags der Parteien.
Im Gegensatz dazu ist eine Möglichkeit die weitere Hürden über den Parteieintritt hinaus erstellt als eine schlechtere Umsetzung desselben Auftrags zu verstehen.

Wenn wir die Hürden betrachten die sich Stellen können wir ihre Schwere einschätzen, im Bezug auf Partizipation in der Piratenpartei sind das derzeit:
Mitgliedschaft:
* wenig Zeit
* etwas Geld
* kleine Bereitschaft sich zumindest einzuschreiben und der Parteiverwaltung zu "offenbaren"
Parteitag:
* seltener aber intensiver Zeitaufwand
* Geldlich von fast für umme bis 1000€ pro Wochenende ist alles drin
* etwas größere Bereitschaft sich der Parteiöffentlichkeit als Mitglied zu stellen

Neu vorgeschlagen wird hier:
Briefwahl mit Onlinediskussion:
* Unterteilbar in Briefwahl:
** wenig Zeit
** wenig Geld
** keine über die Parteimitgliedschaft hinausgehende "Offenbarung"
* und Onlinediskussion
** je nach Thema und Tool unterschiedlich hoher Zeitwand
** kein Geld über Internetanschluss hinaus
** je nach Tool keine über die Parteimitgliedschaft hinausgehende "Offenbarung" dank anonymisierter Beitragsmöglichkeiten.

SMV mit beispielsweise Liquid Feedback
* dauerhaft mittlerer Zeitaufwand, Delegationen müssen kontrolliert werden, sonst drohen Manipulationen
* kein Geld über Internetanschluss hinaus
* je nach Einstellung muss man mindestens mit einer längeren Speicherung jeder einzelnen Meinungsäusserung, insbesondere aller Einzelabstimmungen rechnen.


Ich wende mich aber nicht nur gegen zusätzliche Hürden, ich wende mich auch gegen die bereits bestehenden Hürden. Mit dem Aufbauen zusätzlicher Hürden sehe ich ein Zeichen für eine Bewegung in die falsche Richtung. Unser Ziel muss es sein noch offener zu werden. Gesprächsangebote müssen von uns ausgehen, und nicht von aussen in die Partei eingebracht werden. Ein geschlossenes internes Abstimmsystem mit noch höheren Hürden als dem schlichten Parteibeitritt halte ich da nicht für zielführend, schon gar nicht wenn es am Ende keinen wirklichen Mehrwert bringt.

Wenn ich an Deutschland denke und mir ausmale wie ich es gerne in 20-30 Jahren hätte, dann sehe ich eine gesunde parlamentarische Demokratie. Parlamentarische Demokratie deswegen, weil sie uns lange Jahre gute Dienste geleistet hat, und in jedem Fall bessere Dienste als alle Vorgängersysteme. Gesund, weil ich hoffe dass wir es schaffen die Entkopplung von Politik und Volk zu beheben. So kaputt, dass wir das Kind mit dem Bade ausschütten müssen ist unsere Demokratie nämlich bei weitem noch nicht!

Ich muss dir daher an einer Stelle entschieden widersprechen: Doch, jede Partei muss ein Angebot für jeden Menschen machen! Dass viele Parteien das nicht tun ist meiner Meinung nach der Grund für unsere derzeitige Krise. Es gibt keine Partei mehr die eine gesamtgesellschaftliche Vision bietet, oder es auch nur versucht.

Diskussionen zur SMV und Liquid Democracy

Folgende Beiträge ergaben sich aus einem intensiveren Twitterdiskurs mit Incredibul aus Mannheim. Zur Transparenz der Debatte habe ich das ganze jetzt mal verbloggt.

Es gibt in der Debatte ein paar Grundlegende Konflikte, der heftigste entspinnt sich um den Begriff des Politikers. Während die eine Gruppe den Begriff sehr weit spannt fasst die andere ihn sehr eng auf.
1. Definition: Ein Politiker ist jemand sobald er politisch aktiv wird, also beispielsweise einer Partei beitritt.
2. Definition: Ein Politiker ist jemand sobald er für ein Amt antritt oder ähnlich größere Verantwortung für sich beansprucht.

Der Unterschied der Definitionen wird im Spannungsfeld der Transparenz deutlich: Während die Anhänger der ersten Definition wie selbstverständlich für alle Parteimitglieder völlige Transparenz ihrer Entscheidungen verlangen ist diese Vorstellung den anderen ein Greuel.

Meiner Meinung nach liegt der ersten Definition eine grundlegende Fehleinschätzung zugrunde die ich hier kurz darlegen will:
Parteien haben in der BRD eine spezielle im Grundgesetz festgelegte Aufgabe, sie "wirken bei der Willensbildung des Volkes mit". Im Grundgesetz werden die Parteien dadurch meiner Meinung nach als niedrige und direkte Schnittstelle zum Volk vorgesehen. Je niedriger und direkter diese Schnittstelle ausfällt, umso besser ist das Ergebnis, im Moment ist es offensichtlich, dass das Ergebnis schlecht ist. Die Parteien und die Politiker entfremden sich immer mehr vom Volk. Die Piratenpartei könnte hier eine neue und notwendige Schnittstelle sein, die erste Definition entpuppt sich aber hier als Hindernis.

Wenn jeder Bürger durch seinen Beitritt zur Partei zum Politiker wird, muss jeder der diesen ersten und wichtigsten Schritt zur Partizipation machen möchte bereit sein auf grundlegende Freiheiten zu verzichten. Als Politiker ist man automatisch Person des öffentlichen Interesses, und Entscheidungen und Meinungen müssen genau dokumentiert werden. Das bedeutet für Personen für die diese Dokumentation ein Problem darstellt wird diese Definition zum Ausschlusskriterium der Partizipation. Paradoxerweise würde also der Einsatz einer personenbezogen Transparenten Partizipationslösung, beispielsweise von Liquid Feedback, die Hürden zur Teilnahme erhöhen. Legt man im Gegensatz dazu die engere Definition an gelangt man automatisch zu dem Schluss, dass der Bürger auch nach seinem Parteibeitritt ein Bürger bleibt. Mit allen Rechten versteht sich, insbesondere eben NICHT unbedingt für seine Meinung "einstehen" zu müssen.
Die zweite Definition ist also die, die am Ende für mehr Bürgerbeteiligung durch weniger Ausschluss sorgt.

Als Konsequenz dieser Abschätzung bleibt mir natürlich nichts anderes übrig als Systeme die auf personenbezogene Transparenz setzen grundsätzlich abzulehnen. Selbst ohne Berücksichtigung der fehlerhaften Annahme, dass Transparenz ein wirksamer Schutz vor irgendwelchen Manipulationen wäre. Siehe: Warum Transparenz und Klarnamen als Sicherheitsmechanismus ungeeignet sind Alternative Systeme die der zweiten Definition entsprechen zeichnen sich durch niedrige Hürden aus, beispielsweise dürfen dort auch Nichtmitglieder Beiträge/Anträge erstellen oder Kommentare/Argumente hinterlassen. Der Versuch eine perfekte authentifizierung seines gegenüber zu erreichen (Bundeskiste, etc.) ist letztenendes nur eine logische Schlussfolgerung aus der Fehldefinition von Politiker. 

Warum Transparenz und Klarnamen als Sicherheitsmechanismus ungeeignet sind

LQFB setzt auf Transparenz als Sicherheitsmechanismus, dieser Mechanismus ist nach meiner Meinung grundsätzlich fehlerbehaftet und ungeeignet um für Sicherheit bei einem E-Voting System zu sorgen. Im wesentlichen bedeutet ein rein auf Transparenz aufsetzendes Sicherheitssystem, dass Daten veröffentlicht werden. Untersuchen wir zunächst die Schritte in denen das geschieht:
  1. Der Stimmberechtigte trifft seine Entscheidung und gibt diese über seinen Computer ein.
  2. Die Entscheidung wird im Computer des Stimmberechtigten verarbeitet und über das Internet an einen Server geschickt.
  3. Der Server verarbeitet die Entscheidungen aller Stimmberechtigten und gibt auf Anfrage ein Ergebnis heraus.
Offensichtlich ist an dieser Stelle bereits, dass wesentliche Schritte (nämlich die initiale Verarbeitung der Willenserklärung des Stimmberechtigten) in einem Computer stattfinden. Vorgänge in einem Computer sind - trivialerweise - nicht nachvollziehbar, schon alleine da nicht sichergestellt werden kann ob das Bild das ich angezeigt bekomme der realen Datenverarbeitung entspricht. Üblicherweise benötigen E-Voting Systeme daher Informationen von ausserhalb des Computers oder Anzeigemöglichkeiten ausserhalb des Computers um gegen Manipulation zu schützen.
Die nachträgliche Veröffentlichung schützt gegen keinen der klassischen Angriffe.
Um das zu belegen definieren wir zunächst einmal die Anforderungen und Vorraussetzungen:
Vorraussetzungen:
  1. Wir gehen von einem idealen Whiteboard aus, die konkrete Implementierung von LQFB wird zugunsten der idealisierten und damit fehlerfreien Vorstellung eines weißen Bretts ignoriert.
  2. Das Whiteboard steht in einem Raum den man nicht einsehen kann.
  3. Die Teilnehmer kennen sich nicht alle persönlich, und sind mit Klarnamen bekannt.

Anforderungen:
Es muss für alle Teilnehmer nachprüfbar sein, dass die Wahl korrekt abgelaufen ist.

Mächtigkeit:
Für die erste Runde gehen wir von einem Angreifer aus, der lediglich die Abstimmungsergebnisse ändern kann.

Ablauf:
Für eine Abstimmung gehen alle Teilnehmer in unbestimmter Reihenfolge in den Raum und schreiben ihre Entscheidung neben ihren Namen. Am Ende eines vorher abgesprochenen Zeitraums wird das Ergebnis zusammengezählt und veröffentlicht.

  1. Problem:
    Im Idealfall würden alle Teilnehmer ihre Stimmabgabe überprüfen (direkt durch ablesen, oder indirekt durch Kommunikation mit bekannten Teilnehmern). Prüft ein Teilnehmer dies nicht kann die Korrektheit des Ergebnisses in Gänze nicht mehr überprüft werden.
    Wenn also nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle Teilnehmer dies tun, kann nichtmehr sichergestellt werden, dass die Wahl korrekt abgelaufen ist.
    -> Widerspruch zu den Anforderungen.

    Annahme A:
    1. Alle Teilnehmer prüfen ihre Stimmabgabe immer nach. 2. Ein Teilnehmer bemerkt jede Abweichung bei seiner eigenen Stimmabgabe.
  2. Problem:
    Es ist nicht unterscheidbar ob der Teilnehmer sich irrt (er hat tatsächlich seine Stimme so abgegeben) oder ob seine Stimme nachträglich verändert wurde (es wurde manipuliert).
    Der korrekte Ablauf (Irrtum) ist vom inkorrekten Ablauf (Manipulation) nicht unterscheidbar.
    -> Widerspruch zu den Anforderungen.

    Annahme B:
    1. Einzelne Meldungen sind nicht ausschlaggebend.

  3. Problem:
    Durch einführen einer "Relevanzschwelle" für Manipulationen öffnet sich ein ganzes Feld von wahrscheinlichkeitsbasierten Angriffen. Verändert man gezielt immer die Stimmen derselben Teilnehmer findet ein Dämpfungseffekt statt. Nach einer gewissen Zeit werden die Meldungen der Teilnehmer nicht mehr ernst genommen und der Angreifer kann seine Methodik ausweiten.

    Entfernen wir Annahme A ergibt sich eine Rekombination der Probleme 1 und 3.
  4. Problem:
    Nicht alle manipulierten Stimmabgaben werden bekannt. Durch gezieltes Manipulieren bei bekannten Teilnehmern, die dem System etwa kritisch gegenüber stehen, wird ein Szenario geschaffen in dem die wenigen Meldungen über Manipulation der Stimmabgabe bei nach Inaktivität ausgesuchten Teilnehmern untergehen.

Es folgt also: Selbst unter idealen Vorraussetzungen ist Transparenz nicht in der Lage für jeden Teilnehmer nachprüfbar den korrekten Ablauf der Entscheidungen zu belegen.

&tldr;Die nachträgliche Veröffentlichung von Daten kann keinen Erkenntnisgewinn über ihre korrekte Verarbeitung erzeugen und ist daher als Kontrollmechanismus für diesen Zweck ungeeignet.