Samstag, 27. April 2013

Warum wir auf absehbare Zeit keine SMV haben werden...

Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge nach Neumarkt. (Wenn ich denn gehe.)

Wir werden keine SMV bekommen. Dies steht für mich, unabhängig vom Ergebnis der Umfrage, bereits fest. Die Fronten sind festgefahren, und es gibt einige Grenzen die legal nicht überschritten werden können. Eine Urabstimmung werden die Hardcore-LiquidFeedback-Fans sicher zu verhindern wissen, und sollten sich ebenjene mit ihren eigenen Vorstellungen durchsetzen wird die LiquidFeedback SMV entweder vom Bundesschiedsgericht oder von einem ordentlichen Gericht abgeschossen.

Wie man es dreht und wendet: Der Zug ist abgefahren. Vielleicht war er schon 2010 abgefahren, als aus Berlin durch die Hintertür (wer erinnert sich noch an die "normative Kraft des Faktischen"?) versucht wurde Liquid Feedback bundesweit zu installieren. Rückblickend auf den Landesparteitag 2013.1 in Baden-Württemberg sieht man an der Abstimmung zur Briefwahl beziehungsweise LiquidFeedback Lösung was passiert. Es wurde eigentlich schon alles gesagt, mittlerweile auch so ziemlich von jedem der es sagen wollte, aber irgendwie reicht es immer noch nicht. Wir haben jetzt einen Beauftragten für die Diskussion.

Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Wir haben einen Beauftragten der für uns die Diskussion führen soll.

Was soll denn bitte noch diskutiert werden? Dass die Klarnamenspflicht schlicht verfassungswidrig ist, ist mittlerweile selbst bis nach Berlin vorgedrungen. Dass Liquid Feedback (und damit die einzige Softwarelösung die mit Vehemenz vorgetragen wird) ohne selbige - und eigentlich auch mit selbiger - ein Sicherheitstechnischer GAU ist, ist auch jedem klar der mal fünf Minuten recherchiert und nicht sofort den Programmierern glaubt, die diesen Sicherheits-Unfall verbrochen haben. Was bleibt denn da überhaupt noch übrig? Verschiedene Grade von klassischen Urabstimmungsverfahren, sei es mit Urne oder Briefwahl, und der dezentrale Parteitag. Aber selbst da ist die Diskussion eingeschlafen. Man fühlt sich nicht gut genug informiert.

Was ist los? Ich glaube es liegt daran, dass sich keiner dafür interessiert. Es geht der Mehrheit der Piraten schlicht am Arsch vorbei. Und das obwohl es das grundlegendste Problem unserer Partei ist. Niemand braucht eine weitere klassisch organisierte Partei, und liebe Piraten: Da werden wir landen wenn wir nicht aktiv dagegen arbeiten, wir sind schon fast da. Statt aktiv an einer Lösung dieses zentralen Problems zu arbeiten wird über die Wichtigkeit verschiedener Themen gestritten. "Die Linken" geben sich mit "den Liberalen" auf den Deckel, "die Feministen" verkloppen sich mit "den Maskulisten", "die Netzgemeinde" verhaut sich munter selbst, und irgendwo zwischen drinnen sitzt der große Rest, hört bei allem ein bisschen rein und hebt dann nach eigenem Gusto sein Stimmkärtchen hoch.

Die Popcornpiraten sind vielleicht der deutlichste Hinweis was das Problem ist: Wir sind zur Sofapartei geworden. Mitmachpartei war gestern, heute soll gefälligst geliefert werden.

Liebe Piraten: Is nich. Arsch hoch, wählen gehn! Bildet euch verdammt noch mal eure eigene Meinung! Demokratie ist ein Mitmachspiel und keine Gameshow!

Montag, 15. April 2013

Kurz verbloggt: Ich liebe Montage

7:30 Der Wecker klingelt.
7:50 Ich krieche aus dem Bett, und schleiche in die Dusche, man will ja nicht den ganzen Tag stinken.
8:10 Ich verlasse das Haus...
8:11 ... und gehe wieder zurück, weil Tabletten und Tasche sollte ich wohl mitnehmen.
8:30 Hui das geht ja flott, da bin ich sogar noch pünktlich. 
8:31 Warum bremsen die da?
8:32 Was meint die da im Radio mit "Vollsperrung der A5"? 
8:34 Hm, da ist eine Abfahrt...
8:44 muss mein GPS jetzt herumzicken? 
8:46 Ah, die Straße kenne ich!
8:50 Von hier aus ist es nicht mehr weit!
8:55 Waren die 5 Minuten rote Welle wirklich nötig? 
9:01 Parkhaus.
9:15 Ankunft Hörsaal
9:23 zweiter Redner hört auf, "hab ich was verpasst" "eigentlich nicht", warum bin ich nochmal hier?
10:11 Ich frage mich ob ich irgendwoher Popcorn bekomme um es auf die Leute vor mir zu werfen.
10:17 Da spricht jemand vom RCDS, der Wunsch nach Popcorn steigt...
10:42 Prof erklärt, dass um 14 uhr eine 2stündige InfoVL ist. Da sollte ich wohl hingehen.
10:46 Wegbeschreibung zum Mensacafe erhalten, klingt sinnvoll.
11:05 Ankunft Mensa, beim bezahlen feststellen, dass die Geldkarte noch nicht geladen ist. Egal, die freundliche Dame an der Kasse lädt meine Karte mit 10€ auf und holt sich dann die halbe Kohle elektronisch wieder zurück.
11:07 Bärlauchschnitzel mit Bratensauce schmeckt, ... ... ... toll...
11:12 Kollege ruft an und lässt sich eine Eigenart von AngularJS erklären.
11:47 KUCHEN!

Donnerstag, 4. April 2013

Empörtuum Mobile

Steinigt ihn!

Manchmal möchte man einfach nur, dass "Das Leben des Brian" zwangsweise im Schulunterricht gebracht wird. (Funfact: Bei mir wurde es das im evangelischen Religionsunterricht übrigens, aber das ist eine andere Geschichte.) Es gibt da diese wundervolle Steinigungsszene. Ein einziger Blick auf www.popcornpiraten.de erweckt da so krasse Überschneidungen, dass es unheimlich ist.

Kannte Monty Python damals etwa schon die Piratenpartei oder Twitter? Ich vermute eher nicht. Was er aber kennt und unglaublich gerne persifliert ist die menschliche Natur. Ein Aspekt davon ist Empörung. Mir persönlich sind klare Definitionen wichtig, und ein Blick in den Duden ist bei diesem einfachen Wort bereits ausreichend:
Von starken Emotionen begleitete Entrüstung als Reaktion auf Verstöße gegen moralische Konventionen.
 Bis vor einigen Jahren war dieser Begriff nicht weiter wichtig, doch inzwischen lebt jeder von uns in einer stark gefilterten Wahrnehmungsblase. Das "soziale Netzwerk" beispielsweise im deutschsprachigen Internet ist eine große Menge solcher überlappender Blasen. Informationstheoretisch ist es überaus interessant herauszufinden wie sich Nachrichten durch dieses Netzwerk fortbewegen, daher gibt es dort bereits aktive Forschungsprojekte. Eine Erkenntnis steht bereits fest: Stark emotionalisierter Kontext breitet sich ab einer gewissen Schwelle exponentiel aus.

Das bekannteste Beispiel für diesen Fakt ist vermutlich das Video Kony 2012. Damals schwappte eine bis dato nicht bekannte Welle an Informationen durch das Netz. In vorher noch nie beobachteter Geschwindigkeit breitete sich eine Nachricht durch den Komplex vernetzter Wahrnehmungsblasen aus. Die Nachricht hatte alle notwendigen Komponenten: Starke Emotion, Entrüstung, und einen Verstoß gegen eine klar definierte moralische Konvention.

Eine Empörungswelle schwappte durch das Netz.

Empörung und rationales Denken

Man kann schon an der Definition im Duden ein großes Problem erkennen. Starke Emotionen und Entrüstung vertragen sich nicht so furchtbar gut mit den höheren Hirnfunktionen. Da wird die verbliebene (teilweise recht geringe) Menge Restverstand schnell beiseitegeschäumt und in "gerechtem Zorn"™ fröhlich auf dem Altar der Brandrede geopfert. Daraus folgt ein wesentliches Merkmal dieser Empörungswellen, es geht immer um einfache Sachverhalte: "X hat gesagt!" "Y hat gemacht!" "Z hat vergessen!"

Um als Empörungswelle erfolgreich sein zu können müssen Informationen auf einen manchmal falschen Kern reduziert werden. Das ist praktisch, besonders dann wenn es darum geht eine moralische Konvention zu festigen die nicht so sehr Konvention ist wie es einige gerne hätten. Es ist was faul im Staate Deutschland: Wir haben ein Problem mit der Vergangenheitsbewältigung.

Rational betrachtet wird die jüngere Geschichte Deutschlands von den historisch einschneidenden Ereignissen zwischen 1933 und 1945 dominiert. Mit als Folge der Judenverfolgung  im Dritten Reich gründete sich 1949 der Staat Israel. Schon aus der zeitlichen Abfolge und der enormen Schuld die Deutschland als Nation auf sich geladen hat folgt, dass die Beziehung zwischen diesen beiden Staaten und deren Bürgern eine schwierige sein wird. Richtig problematisch wurde diese Beziehung aber erst in den 70er Jahren. Damals entstand zwischen den sowjetisch gestützten Organisationen PFLP (einer Tochterorganisation der PLO) und deutschen links-extremistischen Organisationen wie der RAF oder den RZ eine enge Zusammenarbeit.

Die Linke Szene in Deutschland entwickelte sich also früh in Richtung eines ans absurde grenzenden Weltbildes: Während man einerseits den eigenen Vätern und Müttern die Verfolgung der Juden zur Zeit des Dritten Reichs vorwarf und die Nationalsozialistischen Überbleibsel in der aktuellen Regierung als Beweis für deren Korruption wahrnahm, fand man sich einerseits mit den Palästinensischen Widerstands- beziehungsweise Terrororganisationen im Bezug zum Staat Israel auf Seite eben dieser rechten Ideologie wieder. Die schizophrene Beziehung zum Staat Israel und seinem Umgang mit den Palästinensern zieht sich durch linke Kreise bis in die heutige Zeit, und gerade die Kritik am Staat Israel wird deshalb immer Zankapfel bleiben und Auslöser epischer Schlammschlachten sein.

Ich persönlich unterscheide übrigens nicht zwischen verschiedenen Krisenherden auf der Welt. Mir persönlich ist das ständige Morden von Menschen auf der Welt ein Dorn im Auge, egal ob Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen, Saudi Arabien, und wie sie alle heißen und eben auch dem Gaza Streifen und Israel. In Verbindung mit meiner persönlichen Bekanntschaft mit David Dorst war mir sofort klar, dass sich hier alle Shitstormer schlicht lächerlich machen werden. Denn im Gegensatz zu den üblicherweise leichten Opfern, die einfach nur unüberlegt etwas Dummes posten, denkt Dave über seine Aussagen nach. Die Bruchlandung in der Realität ist also vorprogrammiert.

Empörtuum Mobile

Und trotzdem rollte sie wieder, und wird wieder rollen: Die Empörungsmaschinerie. Trivialisierung ist eine schöne Sache und wenn man ein Feindbild hat, dann hat der Tag Struktur, wie Volker Pispers einmal so treffend im Bezug auf den Feminismus bemerkte. Von der Bildzeitung über Blogs wie den von Felix Leitner bis hin zu den Dingen die jeder Einzelne von uns retweetet: Überall vereinfachen wir und generalisieren wir. Das muss nicht unbedingt etwas schlecht sein, ohne Vereinfachungen ist der Informationsflut in unserem Leben gar nicht mehr beizukommen, aber es wird immer dann zum Problem, wenn wir die Vereinfachung als Wesenskern und vollumfängliche Wiedergabe einer Information fehlinterpretieren. 

Diese unangenehme Eigenschaft selbstorganisierter Kommunikationsnetzwerke hat inzwischen Paradoxe Auswirkungen angenommen: Aus Angst vor einer Empörungswelle werden inzwischen beispielsweise von Vorständen der Piratenpartei Informationen zurückgehalten. Dem Landesvorstand in NRW wird dies jetzt zum Verhängnis. Genüßlich zelebriert man jetzt die Empörung über das Zurückhalten von Informationen und schreit Transparenz, verräterisch ist aber, dass es genau die gleichen sind die da schreien würden wenn die Information früher herausgegeben worden wäre. Der Schlachtruf hätte dann anders lauten müssen, aber wen kümmert das? Die Empörung ist da, ein Grund wird sich schon finden.

Und so rollt das von @JoKnopp so passende benannte "Empörtuum Mobile" im Gegensatz zu seinem Namensvetter ungebremst durch die Landschaft und vernichtet und vergiftet eine sich gerade entwickelnde Kommunikationslandschaft. Und während ein Perpetuum Mobile eine physikalische Unmöglichkeit ist ist das Empörtuum Mobile inzwischen gut dokumentiert und empirisch beweisbar. Der Grund liegt in der menschlichen Natur, im Sensationalismus. Denn Empörung muss ja einen guten und wichtigen Grund haben, niemand würde sich völlig grundlos "stark emotional entrüsten". Und so trägt jeder Einzelne bei, zu der großen endlos laufenden Empörungsmaschinerie. In Anlehnung an die Fantastischen Vier kann sich also jeder mitnehmen: Du stehst nicht im, du bist der Shitstorm.

Johannes Knopp entgegnete übrigens mit seiner Namensschöpfung einem meiner Tweets:
@JoKnopp der Punkt ist: Empörung ist nicht hilfreich! Aber wenn alle schon dabei sind kann ich ja wenigstens Spaß haben, oder?
 Ich halte diese Maschine nicht auf, das kann keine Einzelperson. Wir können nur alle für uns selbst aufpassen welche Information wir wie weitergeben. Wir können nur selbst aufhören destruktiv zu sein. Ich selbst schütte manchmal absichtlich etwas in die Empörungsmaschinerie hinein, genauso wie Dave es tut. Meistens passiert gar nichts, aber ganz selten trifft ein Zufall den anderen und fefe organisiert 38.000 Besucher für ein Blog das sonst bestenfalls ein paar Dutzend Piraten lesen.

Ich konnte übrigens einen der 38.000 überzeugen seine "stark emotionale Entrüstung" abzulegen und rational über das geschilderte Problem nachzudenken. Vielleicht engagiert der sich bald bei den Piraten.

Ein kleiner Schritt, aber... It's something.