Donnerstag, 4. April 2013

Empörtuum Mobile

Steinigt ihn!

Manchmal möchte man einfach nur, dass "Das Leben des Brian" zwangsweise im Schulunterricht gebracht wird. (Funfact: Bei mir wurde es das im evangelischen Religionsunterricht übrigens, aber das ist eine andere Geschichte.) Es gibt da diese wundervolle Steinigungsszene. Ein einziger Blick auf www.popcornpiraten.de erweckt da so krasse Überschneidungen, dass es unheimlich ist.

Kannte Monty Python damals etwa schon die Piratenpartei oder Twitter? Ich vermute eher nicht. Was er aber kennt und unglaublich gerne persifliert ist die menschliche Natur. Ein Aspekt davon ist Empörung. Mir persönlich sind klare Definitionen wichtig, und ein Blick in den Duden ist bei diesem einfachen Wort bereits ausreichend:
Von starken Emotionen begleitete Entrüstung als Reaktion auf Verstöße gegen moralische Konventionen.
 Bis vor einigen Jahren war dieser Begriff nicht weiter wichtig, doch inzwischen lebt jeder von uns in einer stark gefilterten Wahrnehmungsblase. Das "soziale Netzwerk" beispielsweise im deutschsprachigen Internet ist eine große Menge solcher überlappender Blasen. Informationstheoretisch ist es überaus interessant herauszufinden wie sich Nachrichten durch dieses Netzwerk fortbewegen, daher gibt es dort bereits aktive Forschungsprojekte. Eine Erkenntnis steht bereits fest: Stark emotionalisierter Kontext breitet sich ab einer gewissen Schwelle exponentiel aus.

Das bekannteste Beispiel für diesen Fakt ist vermutlich das Video Kony 2012. Damals schwappte eine bis dato nicht bekannte Welle an Informationen durch das Netz. In vorher noch nie beobachteter Geschwindigkeit breitete sich eine Nachricht durch den Komplex vernetzter Wahrnehmungsblasen aus. Die Nachricht hatte alle notwendigen Komponenten: Starke Emotion, Entrüstung, und einen Verstoß gegen eine klar definierte moralische Konvention.

Eine Empörungswelle schwappte durch das Netz.

Empörung und rationales Denken

Man kann schon an der Definition im Duden ein großes Problem erkennen. Starke Emotionen und Entrüstung vertragen sich nicht so furchtbar gut mit den höheren Hirnfunktionen. Da wird die verbliebene (teilweise recht geringe) Menge Restverstand schnell beiseitegeschäumt und in "gerechtem Zorn"™ fröhlich auf dem Altar der Brandrede geopfert. Daraus folgt ein wesentliches Merkmal dieser Empörungswellen, es geht immer um einfache Sachverhalte: "X hat gesagt!" "Y hat gemacht!" "Z hat vergessen!"

Um als Empörungswelle erfolgreich sein zu können müssen Informationen auf einen manchmal falschen Kern reduziert werden. Das ist praktisch, besonders dann wenn es darum geht eine moralische Konvention zu festigen die nicht so sehr Konvention ist wie es einige gerne hätten. Es ist was faul im Staate Deutschland: Wir haben ein Problem mit der Vergangenheitsbewältigung.

Rational betrachtet wird die jüngere Geschichte Deutschlands von den historisch einschneidenden Ereignissen zwischen 1933 und 1945 dominiert. Mit als Folge der Judenverfolgung  im Dritten Reich gründete sich 1949 der Staat Israel. Schon aus der zeitlichen Abfolge und der enormen Schuld die Deutschland als Nation auf sich geladen hat folgt, dass die Beziehung zwischen diesen beiden Staaten und deren Bürgern eine schwierige sein wird. Richtig problematisch wurde diese Beziehung aber erst in den 70er Jahren. Damals entstand zwischen den sowjetisch gestützten Organisationen PFLP (einer Tochterorganisation der PLO) und deutschen links-extremistischen Organisationen wie der RAF oder den RZ eine enge Zusammenarbeit.

Die Linke Szene in Deutschland entwickelte sich also früh in Richtung eines ans absurde grenzenden Weltbildes: Während man einerseits den eigenen Vätern und Müttern die Verfolgung der Juden zur Zeit des Dritten Reichs vorwarf und die Nationalsozialistischen Überbleibsel in der aktuellen Regierung als Beweis für deren Korruption wahrnahm, fand man sich einerseits mit den Palästinensischen Widerstands- beziehungsweise Terrororganisationen im Bezug zum Staat Israel auf Seite eben dieser rechten Ideologie wieder. Die schizophrene Beziehung zum Staat Israel und seinem Umgang mit den Palästinensern zieht sich durch linke Kreise bis in die heutige Zeit, und gerade die Kritik am Staat Israel wird deshalb immer Zankapfel bleiben und Auslöser epischer Schlammschlachten sein.

Ich persönlich unterscheide übrigens nicht zwischen verschiedenen Krisenherden auf der Welt. Mir persönlich ist das ständige Morden von Menschen auf der Welt ein Dorn im Auge, egal ob Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen, Saudi Arabien, und wie sie alle heißen und eben auch dem Gaza Streifen und Israel. In Verbindung mit meiner persönlichen Bekanntschaft mit David Dorst war mir sofort klar, dass sich hier alle Shitstormer schlicht lächerlich machen werden. Denn im Gegensatz zu den üblicherweise leichten Opfern, die einfach nur unüberlegt etwas Dummes posten, denkt Dave über seine Aussagen nach. Die Bruchlandung in der Realität ist also vorprogrammiert.

Empörtuum Mobile

Und trotzdem rollte sie wieder, und wird wieder rollen: Die Empörungsmaschinerie. Trivialisierung ist eine schöne Sache und wenn man ein Feindbild hat, dann hat der Tag Struktur, wie Volker Pispers einmal so treffend im Bezug auf den Feminismus bemerkte. Von der Bildzeitung über Blogs wie den von Felix Leitner bis hin zu den Dingen die jeder Einzelne von uns retweetet: Überall vereinfachen wir und generalisieren wir. Das muss nicht unbedingt etwas schlecht sein, ohne Vereinfachungen ist der Informationsflut in unserem Leben gar nicht mehr beizukommen, aber es wird immer dann zum Problem, wenn wir die Vereinfachung als Wesenskern und vollumfängliche Wiedergabe einer Information fehlinterpretieren. 

Diese unangenehme Eigenschaft selbstorganisierter Kommunikationsnetzwerke hat inzwischen Paradoxe Auswirkungen angenommen: Aus Angst vor einer Empörungswelle werden inzwischen beispielsweise von Vorständen der Piratenpartei Informationen zurückgehalten. Dem Landesvorstand in NRW wird dies jetzt zum Verhängnis. Genüßlich zelebriert man jetzt die Empörung über das Zurückhalten von Informationen und schreit Transparenz, verräterisch ist aber, dass es genau die gleichen sind die da schreien würden wenn die Information früher herausgegeben worden wäre. Der Schlachtruf hätte dann anders lauten müssen, aber wen kümmert das? Die Empörung ist da, ein Grund wird sich schon finden.

Und so rollt das von @JoKnopp so passende benannte "Empörtuum Mobile" im Gegensatz zu seinem Namensvetter ungebremst durch die Landschaft und vernichtet und vergiftet eine sich gerade entwickelnde Kommunikationslandschaft. Und während ein Perpetuum Mobile eine physikalische Unmöglichkeit ist ist das Empörtuum Mobile inzwischen gut dokumentiert und empirisch beweisbar. Der Grund liegt in der menschlichen Natur, im Sensationalismus. Denn Empörung muss ja einen guten und wichtigen Grund haben, niemand würde sich völlig grundlos "stark emotional entrüsten". Und so trägt jeder Einzelne bei, zu der großen endlos laufenden Empörungsmaschinerie. In Anlehnung an die Fantastischen Vier kann sich also jeder mitnehmen: Du stehst nicht im, du bist der Shitstorm.

Johannes Knopp entgegnete übrigens mit seiner Namensschöpfung einem meiner Tweets:
@JoKnopp der Punkt ist: Empörung ist nicht hilfreich! Aber wenn alle schon dabei sind kann ich ja wenigstens Spaß haben, oder?
 Ich halte diese Maschine nicht auf, das kann keine Einzelperson. Wir können nur alle für uns selbst aufpassen welche Information wir wie weitergeben. Wir können nur selbst aufhören destruktiv zu sein. Ich selbst schütte manchmal absichtlich etwas in die Empörungsmaschinerie hinein, genauso wie Dave es tut. Meistens passiert gar nichts, aber ganz selten trifft ein Zufall den anderen und fefe organisiert 38.000 Besucher für ein Blog das sonst bestenfalls ein paar Dutzend Piraten lesen.

Ich konnte übrigens einen der 38.000 überzeugen seine "stark emotionale Entrüstung" abzulegen und rational über das geschilderte Problem nachzudenken. Vielleicht engagiert der sich bald bei den Piraten.

Ein kleiner Schritt, aber... It's something.

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